DER FLIEGENDE OCHSE, AGUDÁS UND ANDERE GESCHICHTEN | TIAGO SANTOS | 21/05/2019

HomeDER FLIEGENDE OCHSE, AGUDÁS UND ANDERE GESCHICHTEN | TIAGO SANTOS | 21/05/2019

Wenn im Unterricht über die brasilianische Geschichte gesprochen wird, begegnen viele dem Thema mit einer gewissen Scheu, und viele sind nicht gerade erpicht darauf, dieses Wissen zu erfassen oder zu vertiefen.

Viele Schülerinnen und Schüler beschäftigen sich mit Themen, die in großen filmischen Produktionen aufgearbeitet sind, bei denen im Mittelpunkt die Helden stehen, wie z.B. der Zweite Weltkrieg und neigen dazu, mit einem gewissen Naserümpfen die Geschichte ihres eigenen Landes zu betrachten, die sich für sie vor allem aus offiziellen "Helden" und komplizierten politischen Verständigungsprozessen zusammensetzt.

Zu den Gründen, die dazu führen, dass die Schülerinnen und Schüler die brasilianische Geschichte - die auch ihre eigene ist - nicht richtig wahrnehmen, gehört eine gewisse Befürchtung, dass die Art und Weise, wie sie in den Büchern und im Unterricht dargestellt wird, vielleicht nicht mit genügender Begeisterung den Reichtum unserer Vergangenheit zeigt und es dabei nicht versteht, dass die Magie des Realismus, von der die lateinamerikanischen Schriftstellern so meisterhaft erzählen, unterhalb des Äquators nichts anderes ist als die Realität selbst. Fantasie und Realität sind untrennbar miteinander verbunden, und so seltsam es auch klingen mag, sie koexistieren harmonisch.

Wie kann man nicht über den ersten großen Witz unserer Geschichte herzhaft lachen? Im 17. Jahrhundert, als der holländische Adlige Graf Maurice von Nassau Brasilien regierte (ein großer Teil des Nordostens war von 1630 bis 1654 von Holland besetzt), war er durch die Verbesserungen in der Stadt Recife, wie den Bau von Kanälen, die Darlehen an die Mühlenbesitzer, den Versuch, Palmares zu zerstören (ja, der Quilombo existierte bereits im Inneren von Alagoas) und die aufwendigen Bauten in der Stadt Mauricia (heute Teil der Stadt Recife) wie der Palast von Fribourg und von Boa Vista, in sehr hohe Schulden verwickelt. Deshalb ließ er eine Brücke bauen, die die Stadt mit seinen Palästen verband, und erhob eine Maut für die Überquerung. Aber er konnte unter den Einwohnern niemanden finden, der bereit war, für die Passage zu bezahlen. Also befahl er, allen in der großen Stadt zu verkünden, dass jeder, der die Brücke überquere, die Chance habe, einen Ochsen fliegen zu sehen. Die Vorstellungskraft und das Erstaunen, Zeuge eines solch magischen Ereignisses zu sein, veranlasste die Bevölkerung, auf die Insel Mauricia zu eilen und die Maut in zwei Etappen zu bezahlen, auf dem Hin- und auf dem Rückweg. Ob sie tatsächlich Zeuge dieses Ereignisses wurden, bleibt der Phantasie jedes Einzelnen überlassen, denn ein Ochsenfell wurde mit trockenem Stroh aufgefüllt und konnte über ein System von Gleitseilen von der Spitze der Burgtürme herunterlaufen. Es ist unbestritten, dass die damals Anwesenden schworen, dass der Ochse geflogen ist. Nassau aber hatte 1800 Gulden in der Tasche.

Und um von den Agudás und der Geschichte ihrer Rückreise zu sprechen: Agudás werden als Nachkommen versklavter Afrikaner definiert, die nach dem Ende der Sklaverei nach Afrika zurückkehrten, entweder aus freien Stücken oder unter Zwang, um den Anteil der freien Schwarzen in der damaligen Gesellschaft zu verringern. Viele der Rückkehrer behielten die in der brasilianischen Gesellschaft üblichen Gewohnheiten bei, und viele der diesseits des Atlantiks gebräuchlichen Nachnamen wie Almeida, Souza und Silva verbreiteten sich in der west- und zentralafrikanischen Region.

Zu diesen kleinen Geschichten gehört sicher auch die des 2. Juli 1823, ein wichtiger Feiertag in Bahia, an dem der so genannten Emanzipation dieses Staates durch die vollständige Vertreibung der portugiesischen Truppen aus dem brasilianischen Staatsgebiet gedacht wird, wodurch die Unabhängigkeit de facto gefestigt wurde. Weniger bekannt als die Unabhängigkeit ist sicher die Geschichte des Kampfes einer Frau, die sich, nachdem ihr Vater ihr verboten hatte zu kämpfen, die Haare schnitt, sich als Mann kleidete und in dieser Verkleidung gegen die lusitanischen Truppen kämpfte, die sich der Abreise aus Salvador widersetzten. Maria Quitéria, die Heldin von Bahia, ist eine wichtige Figur, um die Art und Weise zu verstehen, wie Frauen in der brasilianischen Gesellschaft bis dahin in historischen Handlungen benachteiligt waren. Diese Heldentat brachte ihr nicht nur Bewunderung ein, sie wurde sogar von D. Pedro I. empfangen, der sie mit dem kaiserlichen Kreuzorden auszeichnete. Aber erst im Jahr 2018 wurde sie als Heldin des brasilianischen Vaterlandes anerkannt.

Viele Geschichten wurden nicht nur durch die seriöse Arbeit von Historikern überliefert, sondern verdanken es auch der demokratischen Stabilität in unserem Land, die in diesem Jahr bereits 34 Jahre zählt, dass auf sie zurückgegriffen werden kann. Unter den zahlreichen historischen Forschungsarbeiten ist die Bedeutung der Conjuração dos Alfaiates, auch bekannt als Inconfidência Baiana (1798), hervorzuheben, die weitaus wichtiger ist als die Erhebung in Minas Gerais, bekannt als Mineira (1788), da sie auch für die Abschaffung der Sklaverei eintrat und für den Aufbau einer integrativeren Republik nach dem Vorbild der jakobinischen Republik in der Französischen Revolution. Dies war ein Wunsch, den die Aufständischen in Minas nicht äußerten, sie forderten nur eine Republik, die auf den Idealen der nordamerikanischen Demokratie basierte und die Volksbeteiligung einschränkte.

Es gibt viele Aktionen, mit denen die Lehrerinnen und Lehrer des Bereichs Geisteswissenschaften die Schülerinnen und Schüler begeistern und zum Nachdenken darüber anregen, wie wichtig es ist, unsere Vergangenheit zu verstehen. Nach dem Vorbild des Rattenfängers von Hameln, der die Kinder verzaubert hat, besteht unsere Aufgabe nicht darin, sie in eine Höhle zu sperren, sondern im Gegenteil, sie von dort zu befreien. Noch viel weniger hoffen wir, die Stadt Hameln mit ihrem Reichtum, den vollen Scheunen und den reichen Händlern, die von Mauern geschützt werden, in der aber betäubendes Schweigen herrscht, zu verlassen, sondern wir suchen nach dem Gegenteil, einen Lärm, der so groß ist, dass alle Stimmen, die die Geschichte Brasiliens ausmachen und mitgestalten, gehört werden.

Professor Tiago Santos

Siehe auch